Dr. Hanne Weskott
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
"Malen ist Dialog und Widerstand" notierte der Kunstkritiker, Schriftsteller und Zeichner John Berger 1995 und fuhr fort "Heute zu malen ist so eine Art Widerstand, der auf einen um sich greifenden Mangel antwortet, aber Hoffnung anzustiften vermag." Heute, zehn Jahre später, ist das anders, heute zu malen, erfordert eigentlich keinen Widerstand mehr, sondern folgt vielmehr dem allgemeinen Trend oder Hype wie man so gerne neuhochdeutsch sagt. Selbst Charles Saatchi, einer der einflussreichsten Sammler der Gegenwart, hat das begriffen und feiert den "Triumph der Malerei", und ein 1987 gemaltes, 160 x 200 cm messendes Bild der in Amsterdam lebendensüdafrikanischen Künstlerin Marléne Dumas erzielte bei einer Versteigerung im Februar bei Christie's in London den unglaublichen Preis von 1.800.000 BP, das sind immerhin nach heutigem Kurs 2.522.484 EUR. Marlene Dumas schlug damit berühmtere Kollegen wie Richard Prince, Mario Merz, aber auch den Klassiker Mark Rothko, von dem ein um einiges kleineres Bild von 1959 nur 960.000 BP einbrachte. Nicht eingeholt hat sie allerdings den englischen Maler der Gegenwart Lucian Freud, von dem ein Bild aus dem Jahr 1962/63 auf 4.152.000 BP stieg. Also Bilder zu malen hat sich bei einigen wenigen auch in den Zeiten der tot gesagten Malerei gelohnt. Aber wir sind ja hier nicht in einer Auktion und die Preislage von Cornelia Eichacker ist noch recht moderat. Aber das war die von Marlène Dumas auch einmal. Eigentlich aber haben die beiden Künstlerinnen überhaupt nichts gemein, weder in ihrem Äußeren noch von der Art zu malen, außer dass beide ihrer Malerei gegen Widerstand und jeden Trend treu geblieben sind.
Cornelia Eichacker, die ja den meisten hier keine Unbekannte ist, hat bereits auf der Akademie als Schülerin von Rudi Tröger das kollegiale Naserümpfen aus anderen Malklassen ertragen müssen. "Wir galten als die Altmodischen, die nicht mit der Zeit gingen". Aber das sind eher Äußerlichkeiten, nur für den Markt wichtige Begleitumstände, die "Widerstand", zu oberflächlich fassen. Der Satz "Malerei ist Dialog und Widerstand" ist vielmehr eine grundlegende Aussage über Malerei und das fundamentale Arbeitsprinzip von Cornelia Eichacker. Aber lassen sie mich noch ein wenig weiter ausholen. Denken wir doch einmal darüber nach, was all die Malerei verbinden könnte, die Bilder, die vor Tausenden von Jahren in den Höhlen an die Wände gemalt wurden, die opulente Barockmalerei, die expressive, abstrakte, streng geometrische und konkrete Kunst, die gewöhnlich in dieser Galerie zu sehen ist. Alle diese Bilder sind von Menschenhand gemacht und legen Zeugnis davon ab, dass hier ein Mensch etwas gesehen hat. Das klingt in einer Galerie, die sich auf konkrete Kunst spezialisiert hat, zunächst total daneben. Zeichnet die konkrete Kunst doch gerade ihre Verneinung der Stellvertreterfunktion von Malerei gegenüber der Realität aus. Hier wird nichts abgebildet; die einzige Realität, die in dieser Kunst akzeptiert wird, ist die Bildrealität. Es geht hier also nicht um einen Abstraktionsprozess, sondern um eine völlige Neuschöpfung, die nicht auf Geheimnissen basiert, sondern auf klar erkennbaren Verhältnissen. Aber trotz aller angestrebter Objektivität sieht glücklicherweise jedes konkrete Kunstwerk anders aus. Immer steht dahinter ein Mensch, der etwas gesehen, gefühlt, gedacht, erkannt hat. Wie die Gewichte verteilt, welche Farben, welche Formen vorkommen, das sind immer persönliche Entscheidungen des Einzelnen. "Der Pinsel" schrieb der große chinesische Landschaftsmaler Tao Chi, "ist dazu da, die Dinge vor dem Chaos zu retten." Der Schöpfer ist immer auch Empfänger.
Im Gespräch mit Cornelia Eichacker wird einem diese Tatsache sehr genau bewusst. Sie sagt: "Die Form stammt aus meinem Gesichtskreis; die Farbe hingegen aus der Malerei", oder "die Farbe ist das phantastische Element, die Form konkret", was in ihrem Fall heißt, in der Wirklichkeit vorhanden und von ihr gesehen. Die Form ist also das empfangene Element, die Farbe das erfundene. Lokalfarbe, also Farbe, die sozusagen an den Dingen klebt, zu einem Ding gehört, interessiert sie nicht. Aber dennoch ist diese mit den Augen wahrgenommen worden und als Pigment vorhanden. Wie sieht nun so eine der Wirklichkeit entliehene oder entlehnte Form aus? Da gibt es zum Beispiel diese in das Bild hereinragende Liegstuhlform. Sehr entschieden taucht sie auf einer gelblichen schiefen Ebene auf, die vor einem Farbraumfeld aus Flächen und Bögen wie vor einer sich hochauftürmenden Bergstadt wirkt. Der Liegestuhl könnte dann am Strand stehen. Aber mit dieser Deutung begebe ich mich auf verbotenes Terrain. Damit bringe ich das Bild so nahe an ein Erinnertes, dass es zur Darstellung von etwas wird, und das soll es eigentlich nicht sein. In das Blickfeld der Künstlerin hat sich diese Form einmal geschoben, hat sich festgesetzt, und dient jetzt dazu, der Farbe eine Form zu geben und das Bildgeschehen, also die Ordnung der Farbe auf der Fläche, formal zu strukturieren und Spannung zu erzeugen. Und weil bei Cornelia Eichacker Formen immer dem Organischen entlehnt sind, gibt es bei ihr nicht den wie mit dem Zirkel gezogenen Kreis und nicht das mit dem Lineal entworfene Rechteck. Formen haben bei ihr oft etwas von Schwelkörpern, sie scheinen in Bewegung zu sein, sich auszudehnen oder zurückzuziehen. Die Farbe ordnet sich auf der Fläche nicht in exakten Grenzen. Eher scheint die Gefahr zu bestehen, das alles ineinander fließt. Das erklärt sich aus der persönlichen Geschichte: Cornelia Eichacker hat mit dem Aquarellieren begonnen, weil damals wie heute ihr besonders Interesse dem transparenten Farbraum, der räumlichen wie atmosphärischen Tiefe gilt. Malerei war für sie immer ein Arbeiten in Schichten, was aber nicht mit Masse zu verwechseln ist. Es geht ihr nicht darum, eine möglichst dicke Farbschicht zu bekommen, sondern so lasierend, durchscheinend zu malen, dass Farbräume entstehen, in denen die Formen die Strukturen schaffen. Diese Formen können besonders in der letzten Zeit aber so diffus werden, dass Farbe manchmal fast formfrei an der Oberfläche wirken kann, luftig wie Wolken, die im entstehen schon Vergehen. "Ich strebe Atmosphäre an" sagt sie, und das fordert einen hohen Grad an Körper- oder Formlosigkeit, damit die Farbe nicht eingeengt oder zu fest gefasst wird. Sie nennt das, "ein Bild nicht ganz zu Ende denken," also offen lassen.
Aber auch diese duftigen atmosphärischen Bilder haben mit dem Blick nach draußen zu tun, sind mit einer oder mehren Formen begonnen worden. Das sind die Hürden, die sie sich selbst baut. Sie braucht etwas zum Umschmeißen, sucht beim Malen Widerstand. Die Welt spielt also herein, manifestiert sich in Formen, ist die Reibungsfläche für eine Kunst, die Abbildhaftigkeit vermeidet. Aber gleichzeitig ist sie auch Angel- und Haltepunkt, um nicht beliebig zu werden. Am Anfang eines Bildes ist sie der Dialogpartner, aber dann muss sie daraus verschwinden. Das Bild muss völlig selbständig werden, der einzige Dialogpartner der Künstlerin während der Arbeit. Es muss werden wie Musik, ein wohltemperiertes Klavier oder ein Paukenschlag, eine Polka oder eine Sonate. Dieser Vergleich von Malerei und Musik ist schon oft und viel strapaziert worden, aber funktioniert auf einer ganz allgemeinen Ebene sehr gut, wenn man allein an Rhythmus und Melodie denkt, an Themen die sich wiederholen, an Tempi, an Dur und Moll. Eigentlich ist in der Malerei das alles vorhanden und wird doch nicht so genannt. Vielleicht weil Malerei selten linear lesbar ist, weil sie beim Betrachten keinen zeitlichen Ablauf kennt. Sie ist immer als Ganzes da und fordert auch als Ganzes wahrgenommen zu werden. Sie ist Raum und Fläche zugleich, Form und Farbe, Oberfläche, Material und Atmosphäre, eindeutig zweidimensional mit Anspruch auf Dreidimensionalität auch dann, wenn keine Zentralperspektive eine räumliche Illusion schafft, sie ist Realität und Illusion zugleich, Handarbeit und Phantastik und sie fordert nicht nur unseren Sehsinn, sondern zielt auf Kopf und Gefühl. Was kann es schöneres geben als so etwas Komplexes wie ein Kunstwerk, wie ein Bild.
© Dr. Hanne Weskott, Säbener Straße 168, 81545 München
Text von Frau Dr. Hanne Weskott
zur Eröffnung der Ausstellung, Cornelia Eichacker
Bilder 2004
Eitempera auf Leinwand
Eitempera, Ölfarbe und Wachs auf Leinwand
Acryl-, Ölfarbe und
Wachs auf Leinwand
in der Galerie Renate Bender,
München, am 5. März 2005