Lothar Romain
Die gegenständliche Form der Farbe
Zur Malerei von Cornelia Eichacker
Die Malerei ist vor allem in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts schon einige Male für tot erklärt worden - und mit jedem Male entschiedener und entgültiger als zuvor. Das begründete und begründet man noch immer nicht nur mit ihrer "Begrenztheit", nämlich der Bindung an die Fläche und der angeblichen Erschöpfung ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, sondern auch mit den vielen Bildinnovationen und Bildern der neuen Medien, die das malerische Bild längst überholt hätten. Auffallend ist in der Tat die wörtlich gemeinte "Langsamkeit" des gemalten Bildes sowohl in seinem Entstehungs- wie auch Leseprozeß gegenüber den schnellen, gewiß nicht einfach nur oberflächlichen Bildern der neuen Medien.
Diese "Langsamkeit" aber, so zeigt es sich am Ende des Jahrhunderts, ist wohl auch eine besondere, nicht austauschbare Qalität der Malerei, die nicht einfach zu ersetzen ist und sie weniger verfügbar macht gegenüber Vereinnahmung und Verbrauch. Das gilt nicht für jedes gemalte Bild, wohl aber für die guten und besten.
Langsamkeit war auch ein Stichwort für den Versuch von Kaspar König und Hans-Ulrich Obrist, in ihrer Ausstellung "Der zerbrochene Spiegel" entgegen allen Szene - Trends doch noch einmal nach Möglichkeiten und Qualitäten der Malerei zu fragen. Sie haben nicht versucht zu kategorisieren, aber eine Gemeinsamkeit im höchst Unterschiedlichen glaubten sie doch festmachen zu können: "Das ästhetische Erlebnis scheint uns derzeit ein großes Verlangen nach statisch langsamen Dingen zu haben, die sich nicht verändern, wo die Bewegung vom Betrachter aus erfolgt. Die Informatik ist nicht beschleunigt, dafür aber vielschichtig."
Das Verlangen nach langsamen Dingen, das Problem des Auftauchens und Verschwindens, das vom Betrachter nicht einfach durch Zugriffe ausgeblendet bzw. eingeschaltet werden kann, die auf diese Weise komplexe Information des Gleichzeitigen und doch erst in seiner Lesefolge Erfaßbaren: hier haben wir Merkmale des Störfaktors Malerei gegen den schnellen Verbrauch und gegen die Illusion spontaner Wechsel. Das ist eine ihrer Existenzgrundlagen, die sie unverzichtbar machen in dem Maße, in dem andere Medien durch Simulation alle Distanz scheinbar aufheben und direktes Erleben versprechen.
"Langsamkeit" gilt nicht für die Sujets, sondern für alle Essentials der Malerei, also auch für Probleme der Bildgestaltung und -konzeption. Die grundsätzlichen malerischen Fragestellungen sind lange nicht mehr oder nur noch als Blickwinkel neu. Und doch führen verwandte Fragen nicht immer bloß zu verwandten oder gar sich lediglich fortschreibenden, verdoppelnden Ergebnissen. Das ist eine historische Erfahrung, die bis heute Gültigkeit hat. Und das ist eine eigene Qualität der Malerei, daß sie mit ihrem enormen Bildfundus uns die Bedeutung der Differenz sichtbar gemacht hat anstelle identischer, multiplizierbarer Resultate, die sich die Wissenschaften bei Wiederholung einer Fragekonstellation als Beweis wünschen.
Der so positiv verstandene Begriff der "Langsamkeit" trifft in vollem Umfang auf die Malerei von Cornelia Eichacker zu und ist hier eng verbunden mit dem der Stille, die nicht etwa lautlos und leer ist, sondern leise atmet und von Auge und Geist Geduld verlangt, wenn sie sich dem Betrachter erschließen soll. "Langsamkeit", "Stille" - die Reihe kann fortgesetzt und ergänzt werden: "Tiefe" im räumlichen wie im spirituellen Sinne, "Farbklang", der sich nicht einfach aus Harmonien aufbaut, sondern eher im Sinne von Modulation mit unbeschreibbaren Zwischentönen arbeitet, und schließlich auch ein Begriff von "Zeit", in dem der Augenblick bis zur Grenze des Zeitlosen gedehnt wird.
Damit ist, wenn auch undifferenziert gegenüber der höchst differenzierten Malerei von Cornelia Eichacker, doch die Richtung angegeben, in der sich ihre Bilder orientieren: fort vom Lauten, vom Spontanen, fort vom schnellen Bild wie auch von der Niederschrift augenblicklicher Befindlichkeit, fort auch von Aggressivität, die stets auf Differenz verzichten muß, vom Knall, von der schnell verbrauchten Attraktivität und vor allem fort von der Vorstellung, es gehe um immer überraschende neue Sujets oder Formerfindungen.
Auch in dieser Hinsicht zeichnet sich die Malerei von Cornelia Eichacker in ihrer "Langsamkeit" aus, die nicht den Wechsel der Motive und Malattitüden sucht, sondern die vielfältigen, alle gleich gültigen Entwicklungsphasen ihres Sujets aufspürt und darstellt. Ihre Malerei ist ein intensiver Prozess im Gegensatz zum extensiven, auch expressiven, gerichtet auf die Bildwirklichkeit und ihre mählichen innergeweblichen Veränderungen anstatt auf deren effektvolle Abstrahlung nach außen. Das meint allerdings nicht den Rückzug ins Unsagbare, gar Mysteriöse, wo alle Kommunikation aufhört und Malerei nur sich selbst genügt. Komplex ist das Ergebnis eines Malprozesses, der nachvollziehbar, in seinem Vorgehen durchschaubar bleibt.
Es geht um das differenzierte Zusammenwirken verschiedener Ebenen bzw. Bildmittel, nämlich dem dominanten der Farbe und darin gleich gewichtig eingeschlossen dem der Farbform, die vom Bildmotiv getragen und stabilisiert, aber nicht a priori bestimmt wird, und der aus Farbe und Farbform sich ergebenden virtuellen Bildräumlichkeit, die - dem Auge eindrucksvoll präsent - sich doch jedem Versuch einer begrifflichen oder gar maßlichen Bestimmung völlig entzieht.
Beginnen wir mit dem zunächst Auffälligen: ihre "großen" Bilder (die Formate bleiben gemessen an dem heute üblichen eher auf intime Räume denn auf Museumssäle konzipiert) haben ein einziges Motiv, das in vielfältigen Aspekten und unterschiedlichen Dominanzen gegenüber dem Bildganzen gemalt wird. Es sind Pflanzenformen, also organische, die in das geometrische Bildrechteck gesetzt werden. Diese Spannung ist für die Malerin von Bedeutung. Deshalb auch hat sie ihr Bildinventar vorsichtig erweitert, hat z.b. einen kleinen Stuhl zur Pflanze gesetzt: Stuhl als Konstruktion gegenüber dem Gewachsenen. Diese bedeutet für sie nicht bloß eine Spannung des Bildmotivs, sondern eine grundsätzliche ihrer Malerei, daß sie das Moment des Rationalen, das jede Formulierung beinhaltet, im unbewußt Emotionalen, das Farbe auch immer einschließt, aufgehen läßt und umgekehrt. Beide sind gleichermaßen wichtig und nur in dieser dialektischen Verschränkung für ihre Malerei von Interesse. Weder darf die Form dominieren noch die Farbe sich informell verselbständigen.
So wird auch verständlich, warum Cornelia Eichacker an den gegenständlichen Motiven festhält, obwohl sie ihnen doch so wenig inhaltliche Bedeutung zumißt. Sie benutzt die Bildgegenstände als Farbträger wie z.b. Monet bei seinen "Heuhaufen"- oder "Kathedralen"-Bildern Interesse an den Gegenständen nur als Gerüst für die Farbe hatte, damit diese ihre Eigenständigkeit und Freiheit demonstrieren könne, ohne einfach ins Formlose sich auszubreiten. In diesem Sinne sind die Pflanzenblätter, der Stuhl und der dann dazu gestellte kleine Schirm anzusehen: als Träger bzw. Gerüste des Bildes, die die Farbe in Form halten.
Das ist ein Problem jenseits der Auseinandersetzung zwischen gegenständlich und abstrakt, weil diese Bilder ganz und gar aus der Farbe heraus gedacht sind und weder aus dem gegenständlichen Zeichen sich entwickeln noch auf deren mögliche Ableitungen in frei, abstrakte Formen zielen. Diese Malerei hat die ideologischen Positionen zwischen gegenständlicher Orientierung und Abstraktion längst hinter sich gelassen - oder besser: sie wieder auf die malerische Frage zurückgeführt, die ihr schon bei Monet gestellt wurde und die in den letzten beiden Jahrzehnten wieder in den Mittelpunkt gerückt ist.
Die formulierte Farbe ist das eigentliche Ereignis dieser Bilder und auch ihr Inhalt. Man kann den langsamen Prozess ihres Entstehens im Ergebnis noch nachspüren, wie sie allmählich aufgebaut wurden, von der glatt geschliffenen Grundierung, die zur undurchlässigen Bildhaut wird und das Einsickern bzw. Absumpfen der Farbe verhindert, bis zur vielschichtigen Endgestalt: wohl sind die vielen dünnen Farbschichten, die hier übereinandergelegt wurden, nicht mehr einzeln auszumachen. Aber im feinen Auftrag scheint aus dem Grund vieles nach oben durch, vermischt sich mit anderen, ohne dadurch Palettenmischung zu sein. In dieser Hinsicht schätzt die Malerin die Differenz und Klarheit der Addition, des Übereinanderlegens. Eine Schicht wird erst übermalt, wenn sie angetrocknet ist, damit die Farben sich durchsichtig durchdringen, nicht aber voneinander subtrahieren.
Die Farben dieser Bilder sind trotz ihrer Intensität nie laut, nie aggressiv, auch nie bloß Oberfläche. Und dennoch zieht ihre Transparenz auch nicht in unergründliche Tiefen, bleibt diesseits in der Welt, also ohne einen Anspruch auf idealistische Transzendenz. Meist dominieren eine, bestenfalls zwei Farben, die in unterschiedlichen Modulationen und Verdünnungen aufgetragen werden. In Eitempera gemalt, haben die Bilder nichts von öligem Glanz und wesenlosem Tiefenschein, nichts aber auch von der stumpfen Dichte der Acrylfarben. Sie sind von farblicher Intensität und dennoch zurückhaltend matt, Licht eher versammelnd als abstrahlend. So entsteht eine vielschichtige Räumlichkeit, die sich vor allem aus der Farbe aufbaut und weniger aus den Formüberschneidungen. Diese Bildräume entstehen eben nicht nur aus Hell-Dunkel oder Kalt-Warm, sondern ebenso aus den dünnen Überlagerungen der einzelnen Farbschichten. So erweitert sich der bereits angesprochene dialektische Charakter der Bilder um die Spannung zwischen Luzidität und Undefinierbarkeit, zwischen dem Sehgewohnten - z.b. Hell-Dunkel - und den neu zu entdeckenden Atemfrequenzen der korrespondierenden, überlagernden und ineinanderdringenden Farbschichten, zwischen der reflektierenden Art des Farbaufbaus und dem kontemplativen Ergebnis.
Auf den ersten Blick mögen die Bilder und Aquarelle (die im Sujet ungebundener, durch die Technik bedingt im Auftrag freier, aber von ähnlicher Spannung sind) traditionellen Vorstellungen von Malerei verpflichtet sein. Jedenfalls kokettieren sie weder mit Grenzüberschreitungen noch mit außermalerischen Effekten. Auch ist ihnen im klassischen Sinne Malkultur eigen anstelle von Cuzpe und Provokation. Und doch bezeugen sie, daß eine solche Malerei nicht bloß traditionell, erst recht nicht erledigt oder gar langweilig ist schon deshalb, weil sie nicht mit anderen Bildern konkurrieren will. Die hier evidenten Möglichkeiten, Differenzen zu erforschen und zu thematisieren, bedeuten auch einen Akt notwendigen Widerstands gegen Manipulation und schnellen Konsum. Verstand und Gefühl werden gleichermaßen angesprochen auf ihre Fähigkeiten zu unterscheiden anstatt sich ein- und unterzuordnen oder sich anderem gleich zu machen. Und vor allem das: was zu sehen ist, ist sehbar und ebenso einsehbar und doch nie endgültig begrifflich aufzuschlüsseln.
Text von Lothar Romain
Cornelia Eichacker war u.a. vier Jahre Assistentin an der Akademie der Bildenden Künste in München bei Jerry Zeniuk, einem der großen amerikanischen Künstler der analytischen und inzwischen längst postanalytischen Farbmalerei. Zeniuk fand nicht auf Anhieb Zugang zu der durch und durch europäischen Malerei von Cornelia Eichacker. Er kam mit Verzögerung, dann aber vorbehaltlos ins Schwärmen: „Wenn Sie die Bilder in dieser Galerie sehen“, sagte er 1996 in Regensburg, „werden Sie bemerken, wie Sie eingeladen werden sich in die Bilder hineinzubegeben und teilzuhaben an der besonderen Klangfarbigkeit ihrer Malerei.“ Zeniuk war drei Jahre zuvor als Lehrer an die Akademie berufen worden. Cornelia, oder Nele, wie sie in der Akademie gerufen wurde, hatte schon zwei Jahre Assistenz bei ihrem Lehrer Rudi Tröger hinter sich - zwischen beiden Professoren war nicht nur auf den ersten Blick ein Gegensatz wie Tag und Nacht: einerseits der sublime, in der Kunstgeschichte fest verhaftete, bis in die feinsten Lasuren penible Tröger und andererseits Zeniuk, der noch 1977 auf der Documenta als Beispiel für eine amerikanische Version analytischer Malerei präsentiert wurde und sich in den folgenden Jahrzehnten mehr und mehr zur Freiheit der offenen, tonmächtigen Farbe im großen Format entwickelt hatte - dazwischen stand eine schmale und dennoch unerbittliche Person, die weder zu dem einen oder anderen abbog, sondern auf bemerkenswert insistente Weise ihren Weg ging, besser gesagt: erprobte und abschnittweise eroberte. Warum erzähle ich das? Nicht nur weil ich diese Phase der Entwicklung von Cornelia Eichacker an der Akademie sehr nahe miterlebt habe, sondern weil sich vielmehr in der genannten Spannung zwischen klassischer, gewiss auch konventioneller europäischer peinture und amerikanischer Lust an Farbgebärde und möglichst ungebrochener Farbpräsenz ein Werk von höchst eigener Qualität entwickelt hat. Keines der Nachgiebigkeit in Bezug auf Moden. Gegenüber dem Zeitgeist war Cornelia Eichacker schon früh resistent. Was für viele Trends, Strömungen oder Eintagsfliegen sind an ihr vorbei geschwommen bzw. geflogen, seit sie mit dem Studium der Malerei 1978 in München begonnen hatte und nach dessen Beendigung plus sechsjähriger Assistentenzeit die Akademie 1996 endgültig verließ. Sie haben keine merklichen Spuren in den Arbeiten hinterlassen. “Meine Malerei“, so hat sie einmal geschrieben, „will keine Neuerung sein, kein Konzept vermitteln oder anschaulich machen. Und dennoch bedarf es der Entscheidung für ein bestimmtes, sehr persönliches Vokabular.“ Was die Neuerungen im Sinne der Avantgarde betrifft, die ja heute längst post-post-post ist und für sich selbst immer neue Vokabeln der Befreiung von Geschichte erfindet, so hat Cornelia Eichacker sich abseits gehalten. Was die Malerei selbst betrifft, hat sie - selbst in den für sie sonst nicht üblichen sehr großen bis größten Formaten in einigen Aufträgen für Kunst am Bau - in ihren bisherigen Arbeiten zur Malerei ein Bekenntnis abgegeben, das in Konsequenz und Intensität seinesgleichen sucht. Das als Qualität und Haltung hervorzuheben, gleichsam als Kurzform einer Laudatio am Anfang, ist mir ein Bedürfnis, auch um den dummen, aber nicht ausrottbaren Satz zu konterkarieren, die Geschichte der Malerei sei doch längst abgeschlossen.
Doch nun zur Arbeit selbst. Cornelias Eichacker hat die gegenständliche Welt in ihren Bildern nie ausgeblendet. Und doch ist damit nichts über ihr Sujet gesagt, sondern bestenfalls auf den Anstoß verwiesen, der das Bild evoziert. Mit Begriffen wie gegenständlich oder abstrakt ist hier wenig auszurichten; denn weder geht es ihr um Spiegelbilder der wahrgenommenen Wirklichkeit noch um die bloße Reduktion auf Zeichen. Ihr Thema ist die Farbe, die Farbe als Licht und Materie, die Farbe als Lichtwert und Bedeutungsträger, die Farbe auf der Fläche und in den imaginären Räumen, die sie für sich selbst ausbildet. Die gegenständlichen Szenarien, die dazu hinleiten, geben vor-bildlich Formen, die im Bilde noch nachwirken. Doch die Farben ordnen sich ihnen nicht als lokale unter, dienen weder der Erinnerung noch dem Erkennen. Je weiter und entschiedener das Bild sein eigentliches Thema entwickelt, um so mehr verblassen bekannte Bedeutungen, wie sie sich für uns mit Gegenständen verbinden. Sie transformieren zur reinen Form insofern, dass sie der Farbe Halt geben, den aufzunehmen und gleichzeitig immer wieder in Frage zu stellen eine der zentralen bildlichen Herausforderungen für die Künstlerin bedeutet. Das war schon charakteristisch für ihre frühen Arbeiten. Ein Interieur aus wenigen Gegenständen und Pflanzen, das in immer neuen Bildern auf Farbe und Licht, auf das Entstehen und Zusammenwirken ihrer Formen, auf das Öffnen und zugleich auch Eingrenzen von Räumen erforscht wurde: die Welt nicht als große Oper, sondern als Kammerstück. Aber gerade in dieser Bescheidung lag auch das schier unerschöpfliche Potential der Differenzierung. Das ist die Nahsicht auf die grundsätzliche Spannung zwischen gewachsener Natur und gefertigten Dingen, aber nicht nur mit Blick auf den formalen Gegensatz zwischen funktionaler Gestaltung und organischer Vielfalt, sondern vielmehr auch mit Aufmerksamkeit für deren unterschiedliche stoffliche Präsenz. Tisch und Stuhl kann man verrücken, doch sie behaupten sich als feste, auch starre Körper im Raum, während Blätter ins Licht gewendet sich langsam danach strecken und es zugleich durchschimmern lassen, so Natur in die farbliche Atmosphäre des Bildes aufsaugen. Diese Spannung ist noch heute in den Bildern zu erleben: grundsätzlich in der Gratwanderung zwischen einem festen und dennoch offenen Formgefüge, im Widerstreit der Farben, weder frei zu fließen noch einer strengen Architektur sich zu unterwerfen, in ihrer unterschiedlichen materialen Präsenz und dem Drang, sich in Licht zu verwandeln. Der Erlebnisraum hat sich nur leicht verschoben: aus dem ehemals strengen Interieur ist eine Zwischenwelt entstanden, wie ein Fenster zwischen draußen und drinnen, darin beide Sichten sich überlagern, von drinnen gesehen mit den warmen Tönen unauslotbarer Nähe und den Sublimierungen von Blau einer ins Bild geholten, aber nicht domestizierbaren Ferne. Fenster also nicht im klassischen Sinne der Trennung, sondern als Fläche, auf der zwei unterschiedliche Räume, das Nahe und das Unauslotbare, als Ereignis von Licht und Farbe miteinander verschmelzen. Dieses Ereignis allerdings ist kein impressionistisches des schnellen Notierens von Augenblicken als Fest für das unersättliche Auge, sondern eine Frage des sorgsamen Abwägens, des Balancierens zwischen Wärme und Kühle, des Zufugens und auch wieder Freilegens, des Durchleuchtens von Farbe, ihres vielschichtigen Durchscheinens, als glimmere es von hinten oder unten und sei doch ganz da. Wie Morandi in seinen immer ähnlichen, aber nie auslotbaren Stilleben von Gefäßen nicht deren äußere Form faszinierte, sondern die Spannung der Zwischenräume als das leise Drama seiner Malerei unermüdlich erprobte, so hat Cornelia Eichacker konsequent wie kaum jemand die Farbe auf ihre unterschiedlichen Qualitäten der Lichtfähigkeit und des Leuchtens, der Möglichkeiten von Verdichtungen und Entspannungen, des Kontrastierens und des Kontaktierens untersucht und zur Bildgestalt erweckt.
Ihre Palette ist nicht breit ausgelegt, aber groß in der Sublimierung, keine explosiven Feuerwerke, die sich versprühen, sondern in der Schwebe zwischen warm und kalt gehalten, den Farbkreis in seinen Valeurs und seiner Transparenz zugleich auslotend. Sie weiß mehr als viele andere über die verschiedenen Komplementäre und deren mögliche Kontraste: Ihre Aquarelle sind jedes für sich ein nicht rückübersetzbares Gedicht von Rimbaud über Rilke bis hin zu Celan, obwohl ihr keines davon beim Malen metaphorisch ins Bild kam. Ich will damit nur die Grenzen des Begrifflichen aufzeigen, wo ich den Vergleich suchen muss, weil die Begriffe das Bild nicht mehr beschreiben. Jerry Zeniuk sagte, um ihn noch einmal zu zitieren: „Cornelia Eichackers Aquarelle entstehen aus der Farbe und die Farbe ist hier ganz Ausdruck von Gefühlen. So macht es Sinn von Gefühlen zu sprechen.“ Dem wäre nichts hinzuzufügen, wenn nicht das Beschwören von Gefühlen auch fehlleiten könnte; denn es geht in diesen Bildern nicht um das Gefühl des Annehmens, der Einladung zum Wohligen, des individuellen Versenkens, sondern um eine Balance zwischen farblicher Eigengesetzlichkeit und emotionaler Evokation. Man mag die Nähe suchen, aber wird feststellen, dass die Bilder eigenständige Gebilde bleiben und abweisend dem Versuch begegnen, sich in ihnen einzurichten. Diese Bilder sind von höchster Genauigkeit und Entschiedenheit, wissend, dass Farbe ein Bedeutungsträger ist - Matisse wäre hier in Erinnerung zu rufen -, aber auch unerbittlich in der maltechnischen Auswahl. Schon das Konzept eines ihrer großen Bildprojekte für Kunst am Bau liest sich wie eine hoch differenzierte maltechnische Überlegung, angefangen von Malgrund und Rahmung, deren Tiefe auf der Wand unterschiedliche Bildkörper schafft, bis hin zu den projektierten Farben. Ein kurzer Ausschnitt nur als Zitat:
„Farbpalette: Kaltes Gelb; Farbteige: Wismutgeld, Zitrongelb PY3, Irganzingelb PY 129 grünstichig; Pigmente, selbst angeteigt: Pryderitgelb, Prasoedymgelb, Spinell zwischen Nickeltitangelb und Neapelgelb.“
So geht es weiter über die Farben Gelb/Orange, Rot usw. Fragen Sie mich bitte nicht nach den Unterschieden. Aber sie werden in diesen Bildern feststellen, dass es dieser Genauigkeit bedarf, um analog zur Genauigkeit wissenschaftlicher Versuchsanordnungen, aber nun Kopf und Sinne gleichermaßen eingespannt, mit Farbe sehend das Sehen von Licht wie von Gegenständen zu lernen und zu begreifen.
Wie sagt Cornelia Eichacker: „Malmaterial - damit sind das Bindemittel, aber auch die unterschiedlichsten Wirkungsweisen der Pigmente gemeint. Pigment, Bindemittel und Farbe sind untrennbar miteinander verknüpft. Aber die Farbe, als Farbwert, Lichtwert und Bedeutungsträger, soweit es möglich ist, diese gesondert zu betrachten, muss sich fügen, sie muss meiner Sehnsucht folgen und dem Anspruch nach Präzision genügen wie das Klangelement in einem musikalischen Gefüge. Ein Ton oder Farbton ist niemals ungefähr, sondern klingt nur in seiner absoluten Bestimmung in einer relativen Vernetzung mit anderen Farben.“
Dem kann ich bei bestem Willen nichts mehr hinzufügen als nur die Bitte: Lassen Sie sich Zeit beim Hinsehen - es lohnt sich. Ich habe schon über Jahre eine kleine Arbeit, die ich immer wieder sehe. Und auch die währende Freude darüber hat mich hierher gebracht - selbstverständlich samt dem Vergnügen, die Künstlerin hier wieder zu treffen und zu Ihnen über diese Malerei ein paar Worte gesagt haben zu dürfen.
Text von Prof. Lothar Romain
Präsident der Universität der Künste, Berlin
zur Eröffnung der Ausstellung,
Cornelia Eichacker
Bilder, Arbeiten auf Leinwand und Papier
1994 - 2004
Im Fritz-Winter-Haus in Ahlen,
am 22. Mai 2004